von Elisabeth Czarnetzki und Carla Frohnhöfer
Was ein Kanon im Allgemeinen und einer mit künstlerischem Schwerpunkt sein kann, wurde bereits im Text „Was ist ein Kanon?“ beleuchtet. Nun stellt sich dieser Artikel weiterführend die Frage, welche (menschlichen) Instanzen und Faktoren bei der Entstehung, Entwicklung und Etablierung eines solchen Kunstkanons, beteiligt sind.
Vorabüberlegung: Warum ist es von Bedeutung, diese Frage zu stellen?
Zunächst gilt es dahingehend auf den Titel aufmerksam zu machen, welcher bewusst in Großbuchstaben geschrieben ist, um den Assoziationsraum besonders für das Wort MACHT zu öffnen und zu generieren. In diesem ausgewählten Wort und der damit einhergehenden Mehrdeutigkeit offenbart sich nämlich der Beweggrund und die Evidenz, danach zu fragen WER ODER WAS hinter einem Kanon steht.
Innerhalb der Überschrift nimmt der Begriff MACHT einerseits die Funktion des Verbs ein, welches im Duden anhand eines breiten Bedeutungsspektrums erläutert wird. Insgesamt dienen 20 verschiedene darin aufgeführte Bedeutungen der Auffächerung des Verbs und gerade die siebte ist entscheidend für die Intention dieses Artikels. Dort findet sich im Zusammenhang mit dem Gebrauch des Verbs folgende Formulierung: „[J]emanden durch Protektion o. Ä. in eine bestimmte Position [zu] bringen; jemanden auf[zu]bauen“.[1] Wenn man das Wort machen also in diesem Sinne verwendet, spricht man davon jemanden oder etwas zu etwas zu machen, jemanden oder etwas in eine bestimmte Position zu rücken und jemanden oder etwas zu einem bestimmten Rang zu verhelfen. Führt man diese Gedanken fort, hieße das auch, dass man, in eine bestimmte Ordnung eingreift und diese umschreibt, wenn man etwas macht, dass man etwas umformt, verschiebt, hervorhebt und im Gegensatz dazu – vielleicht gleichzeitig – etwas anderes herabstuft und abwertet. So macht man also etwas ganz Bestimmtes, wenn man einen Kanon bildet, formt, etabliert, wenn man ihn eben „macht“. Man macht einen Kunstkanon, indem man Künstler*innen und deren Kunstwerke in bestimmte Positionen bringt, die diese von einem kanonischen Denken entweder ein- oder ausschließen. Diese Überlegung lässt sich mit der Formulierung Gertrud Kochs, welche den Kanon als „Verfahren, das auf Variation und Vergleich aufbaut“[2] versteht, stützen.
Anderseits kann das Wort MACHT in der Überschrift auch als Substantiv gelesen werden, welches als Synonym für die Wörter Einfluss, Dominanz und Autorität[3] gilt und somit ausdrückt, dass egal wer oder was über einen Kanon entscheidet, eine gewisse Kraft ausübt, indem man über Kunstwerke und ihre Auto*innen verfügt, diese auswählt oder eben ungeachtet lässt und darüber entscheidet, was als kanonisch gilt und was nicht.
Wer oder was hat denn nun die Entscheidungsmacht?
Die vorangeschalteten Überlegungen führen zu der eigentlichen Absicht dieses Textes: die verschiedenen Akteur*innen innerhalb eines Kunstkanons zu beleuchten.
Daraus resultieren beispielweise folgende Fragen: Wer oder was besetzt eine solch machtvolle Position und formt einen Kunstkanon somit maßgeblich? Wer oder was ist am Prozess der Kanonisierung eines Kunstwerks beteiligt? Sind es mehrere Personen und/oder Instanzen, die dazu beitragen, dass ein Kunstwerk sich in einen Kanon erhebt, dass es sich dort etabliert? Wenn ja, wie viele sind es? Wenn es mehrere Beteiligte gibt, existiert dann auch eine gewisse Hierarchie innerhalb einer solchen Gruppe an Aktuer*innen? Sieht man die Entstehung eines künstlerischen Kanons als zeitlichen Prozess? Wer oder was steht chronologisch am Anfang und wer oder was wirkt vielleicht. erst später auf diesen ein?
Um diese Fragen beantworten zu können, erscheint es sinnvoll, sich zuerst einmal die Akteur*innen ins Gedächtnis zu rufen, die im weitesten Sinne am Kunstgeschehen beteiligt sind. Dazu folgt nun eine exemplarische, auf persönlichen Überlegungen basierende, mögliche Reihenfolge zur Entstehungs-Chronik eines Kanons:
- Künstler*innen und deren Praxis/Werke
- Sammler*innen, Käufer*innen, Galerist*innen, Museumsdirek-tor*innen, Kurator*innen, Lehrende (z.B. Dozierende), Kunstvermittler*innen
- Öffentliche Institutionen: Museen, Akademien, Universitäten, Hochschulen, Schulen
- Private Institutionen: Auktionshäuser, Kunstmessen, Banken, Galerien, Akademien, Universitäten, Hochschulen, Schulen
- Besucher*innen der Institutionen/der Ausstellungen = das Publi-kum/Betrachter*innen, Lernende
Was bei dieser Aufzählung beteiligter Personen am Kunstgeschehen auffällt ist, dass der Kunstmarkt viele der genannten Akteur*innen und die entsprechenden Institutionen in sich vereint. Man könnte dementsprechend schlussfolgern, dass der Kunstmarkt ein wichtiger Raum ist, in welchem sich zeigt, wer oder was einen Kanon bildet. Zudem ließe sich behaupten, dass dieser eine erste Hürde abbildet, die ein Kunstwerk nehmen und überwinden muss, um für einen Kanon relevant zu werden, um (in der Kunstwelt) an Bekanntheit zu erlangen.
Zu beachten ist dabei aber in jedem Fall, dass die entsprechenden Akteur*innen und Institutionen ein vorwiegend privates Interesse vertreten, welches beispielweise im Kontrast zu einem Museum mit dessen öffentlichem Auftrag steht. Abseits vom privaten Raum lassen sich manch genannte Akteur*innen auch im öffentlichen Raum und der breiten Gesellschaft verorten.
Aus diesen Überlegungen bilden sich erneut weiterführende Fragen, welche sich wie folgt formulieren lassen:
Bildet der Kunstmarkt also einen Kanon ab, der beispielsweise nicht mit dem öffentlichen Auftrag eines Museums übereinstimmt? Und bildet dementgegen eine Institution wie ein öffentliches Museum dann einen Kanon ab, der nicht als Non plus ultra gehandhabt werden kann, sondern auch befangen ist? Wie viele Kunstkanons gibt es und darf/kann/soll sich jede/r einen individuellen zurechtlegen? Und sind ab einem bestimmten Entwicklungspunkt des Kanons (entsprechend der Aufzählung) doch alle (Kunstinteressierten) an einer Kanonbildung beteiligt und nicht nur Auserwählte?
Diese Fragen dienen im Rahmen der Frag nach den Beteiligten eines kanonischen Modells als Ausblick und Anregung zur Beschäftigung mit einem alternativen Kanon.
[1] https://www.duden.de/rechtschreibung/machen, [18.01.2021].
[2] Koch, Gertrud: UNSTIMMIGKEIT STATT VIELSTIMMIGKEIT. Gibt es Künstler/innen die im Kanon verlorenen gegangen sind?, S. 65.
[3] Vgl. Fontaine, Claire: Entwurf einer kanonischen Freiheit, S. 59.
Quellen:
Fontaine, Claire: Entwurf einer kanonischen Freiheit, in: Texte zur Kunst, Dezember 2015, S. 158-163.
Koch, Gertrud: UNSTIMMIGKEIT STATT VIELSTIMMIGKEIT. Gibt es Künstler/innen die im Kanon verlorenen gegangen sind?, in: Texte zur Kunst, Dezember 2015, S.64-71.
https://www.duden.de/rechtschreibung/machen, [18.01.2021].