Die andere Kunst

von Jorrit König

Das kunsthistorische Narrativ ist von einem westlich orientierten Fokus gezeichnet. In der Gesellschaft hat sich ein sehr verblendeter und in ausgrenzende Kategorien eingeteilter Begriff von Kunst der Moderne und auch von der Bezeichnung der Moderne allgemein eingebürgert. Trotz post-kolonialer und feministischer Ansprüche ist dieser um weiße männliche Kunst zentrierte Kanon weiterhin stark in Gebrauch und weit verbreitet. 

Auch scheinbar unproblematische Kategorien, die auf den ersten Blick nur der Einordnung dienen sollen, erweisen sich bei genauerer Betrachtung als fraglich. Besonders die Abgrenzung der islamischen Kunst vom eurozentrischen Kanon sollte in Frage gestellt werden. Eine Moderne Kunst, die globale Gültigkeit beansprucht, kann kaum solche Abgrenzungen vornehmen. Avinoam Shalem stellt fest, dass islamische Kunst immer wieder, intervallartig, einen Weg in die eurozentrische Kunstgeschichte gefunden hat. Jedoch begegnen sich die beiden Domänen dem Kanon nach zu urteilen, eher sporadisch und unregelmäßig. Das ist eine problematische Ansicht, denn über Jahrhunderte entwickelten dich die beiden vermeidlich unterschiedlichen Disziplinen gemeinsam um das Mittelmeer herum.[1] Islamische Einflüsse reichen bis ins Kalifat Córdoba und unter Konstantin dem Großen ist das heutige Istanbul Hauptstadt des oströmischen Reichs. Die beiden Disziplinen haben mehr gemein, als dass sie sich wirklich unterscheiden.  

Aufgrund der Gemeinsamkeiten und der schwierigen Trennung der Disziplinen, fordert unter anderem Hamid Keshmirshekan ein Überdenken der Begrifflichkeiten, mit denen global Kunst beschrieben wird. Schon Bezeichnungen wie Modern, Islamische Kunst, zeitgenössisch und naher Osten entstammen einer eurozentrierten Sichtweise.[2] Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, bezieht sich zeitgenössisch aktuell nicht nur auf eine zeitliche Einordnung, sondern auch auf die Einordnung in westliche Werte. Daher steht Keshmirshekan nicht nur für eine Erneuerung der Begriffe, sondern auch ein differenziertes Verständnis von Moderne.

Moderne Kunst wurde im Zuge der Kolonialisierung in den arabischsprechenden Raum importiert. Hierbei bezieht sich die Vokabel importiert auf die selbstverständliche Sichtweise des Westens, denn die Moderne wurde Gebieten außerhalb des europäischen Westens eher aufgezwungen. Silvia Naef teilt drei Phasen der modernen Kunstgeschichte arabisch geprägter Länder ein; In der ersten Phase um 1900 wird die westliche Kunst adaptiert. In der zweiten Phase um 1950 findet eine Re-Appropriation vorkolonialer Kunst statt. In der dritten Phase um 1990 wird ein Trend der Globalisierung und Internationalisierung verzeichnet.[3] Damit deckt Naef heuchlerische Tendenzen des westlichen Kunstverständnisses auf. Wie zu Zeiten der christlichen Missionen versucht die westliche Kunstgeschichte den Anderen zuerst ihre eigenen Ansichten aufzuzwingen und rudert anschließend zurück und behauptet sie hätte fremde Wertvorstellungen schon immer hochgehalten. 

In Bezug auf Postkolonialismus ist auch die von Avinoam Shalem getroffene Unterscheidung von globaler Kunst und Kunst der ganzen Welt interessant. Solange im musealen Kontext klare Grenzen zwischen islamischer, kolonialer und eurozentrischer Kunst gezogen werden, kann man nur von Kunst der ganzen Welt sprechen. Ein Museum, welches alle globalen Domänen beherbergt, aber trotzdem ausgrenzende Unterscheidungen trifft, häuft eben nur Kunst von überall auf der Welt an. Globalität ist erst dann erreicht, wenn Bereiche miteinander in Bezug gesetzt und ineinander eingeordnet werden können. Wenn man sich dabei das aktuelle Beispiel des Humboldt-Forums in Berlin[4] vor Augen führt, erweckt die Kategorisierung der Anderen mehr den Eindruck einer neuen Fassade für alte koloniale Blickrichtungen.

Zuletzt vereinen sich die Standpunkte von Avinoam Shalem und Hamid Keshmirshekan in der Kritik an der Anwendung westlicher Paradigmen auf alles nicht Westliche. Globale Kunst fordert nach globalen Paradigmen. Es braucht ein begriffliches und methodisches Inventar, dass sich aus einer Selbstdefinition generiert und nicht von außen, dem eurozentrischen Westen, vorgegeben wurde. 

Für eine globale Kunst ist es schwierig sich aus einem methodischen und begrifflichen Inventar der westlichen Kunst zu bedienen ohne in die ausgrenzenden und überholten Einstellungen dieser eurozentrischen Kunst zu verfallen.  

Somit braucht ein globaler und aktueller Kunstkanon eine neue selbstdefinierte Denkweise. Es reicht nicht aus den westlichen Kunstkanon zu überarbeiten, denn die Utensilien die dieser mitbringen können womöglich gar nicht die islamische- und schon gar nicht die globale Kunst beschreiben.


[1]Avinoam Shalem: Dangerous Claims: On the ‘Othering’ of Islamic Art History and How It Operates within Global Art History. Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften. (2) 2012, S. 69-86.

[2] Hamid Keshmirshekan: Parameters of „Modern“ and „Contemporary“ Art from the Middle East. An Alternative Art Historical Account, S. 127-150. 

[3]Silvia Naef: Writing the History of Modern Art in the Arab World: Documents, Theories and Realities, S. 109-126.

[4] https://www.dw.com/de/humboldt-forum-kritik/a-55952173 , Zugegriffen am 01.02.2021. 

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