Museum und Kanon

von Leonie Breither

„Das Sammeln ist ein menschlicher Urinstinkt.“

 Hilt,Kerstin: Museen. 2019. URL: https://www.planet-wissen.de/kultur/sammeln/museen/index.html.

Die Geschichte des Sammelns von Kulturgegenständen geht laut Anthropologen zurück bis in die Zeit vor Christus. Als Vorläufer unserer heutigen Museen können bspw. die Sammlungen von Klöstern und Kirchen sowie Königen und Fürsten gesehen werden. Die Auswahl der Kulturgegenstände erfolgte nach Kriterien des menschlichen Empfindens – sie sollten ihre Besitzer in „Staunen und Entzücken“ versetzen. Spätere Sammlungen von Privatgelehrten hingegen dienten dem Zweck der wissenschaftlichen Erkenntnis. Im 18. Jahrhundert entstanden dann die ersten öffentlichen Museen mit der Devise: „Erfreuen und Belehren“.[1] 

Doch welche Rolle spielt die Institution Museum, wenn es um den Kunstkanon geht? Schreibt das Museum fest, welche Kunstwerke oder Künstler*innen (–Gruppen) zum Kanon gehören? Nach welchen Kriterien werden potenzielle Kanonwerke ausgesucht und wie verändert sich die Kunst, wenn in einem Museum gezeigt wird? 

Bruce Robertson schreibt in seinem Aufsatz The Tipping Point: „Museum Collecting and the Canon”, dass eine Kanonisierung erfolge, sobald ein Kunstobjekt in eine öffentliche Sammlung eines Museums oder einer Galerie übergeht. Dadurch werde es zu einem etablierten Etwas, da es ab diesem Zeitpunkt sowohl besichtigt werden und somit auch Aufmerksamkeit erlangen kann, als auch die Möglichkeit zur Reproduktion des Werkes bietet. Seine Schlüsselworte hierbei lauten: „Stabilität und Verfügbarkeit“. Als Beispiel für seine These dient das Kunstwerk Fur Traders Descending The Missouri von George Caleb Bingham von 1845, welches 1933 vom Metropolitan Museum of Art gekauft und ausgestellt wurde. Durch die Beziehungen des Museums zu New Yorker Verleger*innen und Kunsthistoriker*innen wurde es rasch zu dem meistreproduzierten Kunstwerk des Künstlers. So wurde Bingham, welcher bislang weder diskutiert wurde und keine weiteren Kunstwerke vorweisen konnte, die einer Reproduktion unterliefen, plötzlich zu einem Teil der American Art History.[2]

Also scheint nicht einfach nur die Aufnahme eines Kunstwerkes in die Sammlung eines Museums dieses gleich zum Kanon dazugehören zu lassen. Anscheinend spielen Verbindungen von Museen zu anderen Vertretern der Kunstszene ebenfalls eine Rolle. Allerdings wäre der Weg eines Kunstwerks in die Liste des Kunstkanons ohne den Zwischenschritt der Aufnahme in ein Museum wahrscheinlich eher schwierig. 

Doch nach welchen Kriterien wird eigentlich ausgewählt, welche Werke von welchen Künstler*innen in ein Museum aufgenommen werden? Robertson ist der Meinung, der Erwerbsprozess eines Kunstwerks sei bis zu einem bestimmten Punkt willkürlich. Es sei eine Sache von „location, timing, opportunity or even luck“[3]. Allerdings lassen sich Interessen an bestimmten Künstler*innen–Gruppen oder künstlerischen Themen festmachen. Laut Robertson wurde beispielsweise der Luminismus[4] Teil des amerikanischen Kunstkanons aufgrund von bestimmten (persönlichen) Entscheidungen von Einzelpersonen des 20. Jahrhunderts (meist Kuratoren) und kann seiner Meinung nach also nicht als Resultat eines Überblicks von historischem Prozess innerhalb der Kunst betrachtet werden.[5] 

Und wie sieht es mit dem Inhalt des Kanons bzw. den ausgestellten Werken in Museen aus? Der Kanon war und ist zum größten Teil immer noch bestimmt von Kunstwerken weißer männlicher Künstler. Robertson sagt, gegen Ende des 20. Jahrhunderts öffnete sich der Kanon für neue Gesichter und Themen wie bspw. Gender, Rasse oder Herkunft. Der Direktor des Museum of Modern Art (MoMA) Glenn D. Lowry berichtet jedoch, dass erst ab den 70er Jahren eine verengte Lesart moderner Kunst stattgefunden habe. „In den 40ern, 50ern, 60ern sammelten und zeigten wir Kunst aus Indien, Iran und Lateinamerika. Heute scheint im MoMA nichts mehr ausgeschlossen. Der Versuch, eine globale Kunstgeschichte zu entwerfen, scheint vor allem durch die Öffnung des männlichen eurozentrischen Kanons zu funktionieren. Das MoMA versucht zudem, die Kunst mehr von den Künstler*innen her zu denken als von der Kunstwissenschaft. Das Statement von Direktor Lowry lautet: „Ich bin am Kanon nicht interessiert.“[6] Diese Aussage lässt jedoch annehmen, dass ein Kanon statisch ist und neue Ausrichtungen von Museen  diesen nicht erschüttern oder verändern können. Die Rolle des Museums bei der Kanonschreibung lässt sich also nicht genau bestimmen. Was jedoch wichtig erscheint ist, was Museen ausstellen, da sie bestimmen, was die Besucher*innen in Museen erfahren und womit sie sich auseinandersetzen können. 

Viele Museen streben immer mehr, wie das MoMA, die Öffnung des weißen männlichen Kanons an, so auch das Museum Ludwig in Köln. Die Ausstellung „Mapping the Collection“ bspw. zeigt feministische, afroamerikanische, indigene und queere amerikanische Kunst und hinterfragt damit den vertrauten (kunst–) historischen Kanon, so das Museum.[7] 


[1] Vgl.  Hilt,Kerstin: Museen. 2019. URL: https://www.planet-wissen.de/kultur/sammeln/museen/index.html.

[2] Vgl. Robertson, Bruce: The Tipping Point: „Museum Collecting and the Canon“, American Art, Autumn, 2003, Vol. 17, No. 3 (Autumn, 2003), pp. 2-11.

[3] Es sei eine Sache des Ortes, des Zeitpunkts, der Möglichkeiten oder sogar des Glücks. 

[4] Luminismus ist eine amerikanische Kunstepoche des 19. Jahrhunderts, in dessen Zentrum Landschaftsmalerei und Lichteffekte stehen. 

[5] Vgl. Robertson, Bruce: The Tipping Point: „Museum Collecting and the Canon“, American Art, Autumn, 2003, Vol. 17, No. 3 (Autumn, 2003), pp. 2-11.

[6] Vgl. Reichert, Kolja: Jetzt ist alles gleich viel wert. 2019. URL: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/wie-das-new-yorker-moma-den-kanon-einreisst-16441577.html .

[7] Vgl. URL: https://www.br.de/nachrichten/kultur/feminin-schwarz-queer-museum-ludwig-versuch-eines-zeitgemaessen-museums-in-koeln,S2XPmQm (2020). Und vgl. URL: https://www.museum-ludwig.de/de/ausstellungen/rueckblick/2020/mapping-the-collection.html.


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